The lies you didn’t tell – Leseprobe
Ich ging hinüber zu einem Betonklotz am Rand des Hofes und ließ mich darauf nieder, während ich den Kaffeebecher an meine Lippen setzte. Ich seufzte leise, als das warme Getränk meine Kehle hinab rann. Vielleicht konnte ich einfach hier sitzenbleiben, bis diese Convention vorbei war.
Plötzlich wurde eine Tür weiter hinten auf dem Hof geöffnet und ich erstarrte. Ich hatte nicht vergessen, was das Schild an der Tür verkündet hatte. Ich durfte nicht hier sein. Ich riss meinen Kopf in die andere Richtung und starrte in die Ferne. Vielleicht würde mich niemand sehen. Oder sie würden denken, ich gehörte hierher.
Ich musste nur so aussehen, als dürfte ich hier sein. Mein Herz hämmerte schneller gegen meine Rippen und ich streckte meine Beine vor mir aus, während ich eine Hand hinter mir abstützte. Ich war total entspannt, weil ich hier sein durfte. Total entspannt.
Ich gehöre hierher, dachte ich angestrengt, als könnte der Neuankömmling meine Gedanken lesen. Ich kann nicht zurück in die Menschenhölle gehen. Bitte ignorier mich und …
»Hey.«
Scheiße.
Ich nickte kurz, ohne den Mann anzusehen, der in einem Meter Entfernung neben mir stehengeblieben war. Mein Herzschlag beschleunigte sich noch weiter. Was war die Strafe dafür, durch eine verbotene Tür auf einer Convention zu gehen? Sicherlich nicht Gefängnis. Oder doch?
Reiß dich zusammen, Annie, sagte ich mir selbst. Niemand landet im Gefängnis wegen sowas. Eine hohe Geldbuße konnte ich mir allerdings auch nicht leisten. Vielleicht wäre Gefängnis also die bessere Wahl.
»Du hast nicht zufällig ne Zigarette?« Die Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Was nicht schlecht war, da meine Gedanken eine seltsame Wendung genommen hatten.
»Ich rauche nicht«, sagte ich und zuckte entschuldigend mit den Schultern in der Hoffnung, dass die Geste lässig wirkte und nicht so verkrampft, wie ich mich fühlte. Sicher würde er jetzt weitergehen, um jemanden zu suchen, der ihm bei seiner Sucht helfen konnte.
»Ich eigentlich auch nicht«, erwiderte er und setzte sich neben mich.
Wieso zur Hölle fragte er dann nach einer Zigarette?
Ich drehte meinen Kopf noch weiter zur Seite und nickte erneut. »Hm«, machte ich und nahm einen großen Schluck meines Kaffees. Ob der Typ beim Sicherheitsdienst arbeitete? Hatte das Personal hier besondere Ausweise, die sie um den Hals trugen? Würde er direkt erkennen, dass ich nicht hierher gehörte, wenn ich mich zu ihm umdrehte?
»Aber Stress löst immer dieses unfassbare Verlangen in mir aus.« Ein seltsamer Unterton lag in seiner Stimme, den ich nicht deuten konnte.
»Klar«, erwiderte ich.
Ich konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass er mich eingehend musterte, und drehte meinen Oberkörper noch ein wenig weiter in die andere Richtung. Noch offensichtlicher konnte ich nicht zeigen, dass ich nicht mit ihm sprechen wollte.
»Was machst du hier?«
Ah verdammt. Er gehörte wirklich zum Sicherheitspersonal.
Mit einem lauten Seufzen drehte ich mich zu ihm um und der Atem stockte in meiner Kehle. Er sah gut aus. Besser als gut. Er war etwas größer als ich und durchtrainiert. Dunkle Haare fielen ihm in die Stirn und seine Augen funkelten erwartungsvoll, als ich seinen Blick traf. Irgendwie kam er mir bekannt vor, doch ich konnte nicht sagen, weshalb. Möglicherweise war er einer der Sicherheitsmänner, die am Eingang unsere Taschen durchsucht hatten.
»Also hör zu«, begann ich und atmete tief ein. »Ich darf eigentlich nicht hier sein, das weiß ich. Aber da drinnen war es mir zu voll und ich musste raus. Also wäre es wirklich sehr nett, wenn du einfach vergessen könntest, dass du mich hier gesehen hast, okay?«
Er sah mich einige Sekunden eindringlich an, als wartete er auf etwas. Dann verzog er kurz seinen Mund. »Kein Problem«, sagte er und nickte, während sein Blick über meinen Körper glitt.
Ich presste die Arme enger an meine Seiten und hoffte, dass die Schweißflecken inzwischen verschwunden waren, doch traute mich nicht, nachzugucken.
Er lehnte sich zurück und seine Augen wanderten von meinen Oberschenkeln zu meinem Bauch und höher. Als er meinen Blick endlich wieder traf, sah er mich beinahe erwartungsvoll an. Mir fiel auf, dass er keine Uniform trug. Und Sicherheitsleute trugen immer eine Uniform, nicht wahr?
Er kreuzte seine Knöchel und stützte die Arme hinter sich auf den Betonpfeiler, der plötzlich viel zu klein schien. Unauffällig neigte ich mein Kinn und nahm einen tiefen Atemzug. Zumindest roch ich nicht nach Schweiß. Ich zwang mich zu einem Lächeln, bevor ich erneut in die andere Richtung sah und einen Schluck meines Kaffees nahm, doch ich konnte ihn nicht mehr in Ruhe genießen. Der Typ störte mein Zen Gefühl.
»Wie heißt du?«, fragte er.
Ich sah ihn wieder an und er hob eine Augenbraue. Verdammt. Er sah echt gut aus. Mein Blick glitt über seinen Oberkörper. Sein enges T-Shirt betonte all seine Muskeln – und davon hatte er wirklich viele. Ein schmaler Streifen bronzener Haut war zwischen seinem Oberteil und der dunklen Jeans sichtbar und ich leckte mir über meine Lippen, bevor ich tief einatmete. Er roch auch gut. Gar nicht nach Schweiß.
»Also?«, sagte er und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Oder willst du mir deinen Namen nicht verraten?«
»Annie«, erwiderte ich, bevor er dachte, ich wäre dumm. Oder bevor ihm auffiel, wie genau ich ihn betrachtet hatte.
Wie lange dauerte wohl die Photo Op meiner Freundinnen? Ich zog das Handy aus der Tasche und schickte Liv eine SMS, damit sie mir Bescheid sagte, sobald sie fertig waren. Dann würde ich mich erneut in die Menschenhölle begeben, denn offenbar konnte ich hier nicht ungestört warten, bis die Convention vorüber war.
»Willst du nicht nach meinem Namen fragen?«, wollte der Typ wissen und ich atmete hörbar aus. Eigentlich hatte ich doch nur in Ruhe meinen Kaffee genießen wollen. Wieso war er so aufdringlich? Er lachte leise. »Ich bin Garret«, sagte er.
Ich drehte mich erneut zu ihm und hob meine Augenbrauen. »Garret?«, fragte ich und hörte selbst, wie unhöflich ich klang. Aber mal ehrlich. Was war das denn bitte für ein Name?
Er nickte und seine Augen funkelten belustigt. »Mein Vater hat mich nach meinem Großvater benannt«, erklärte er.
»Daher also der altmodische Name«, stellte ich fest, doch er schüttelte seinen Kopf.
»Mein Großvater hieß Gerhard.«
Ich verschluckte mich an meinem Kaffee und er grinste.
»Deshalb nenne ich mich jetzt Garret. Besser, oder meinst du nicht?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht so recht«, sagte ich. »Gerhard ist ein wirklich stolzer Name. Althochdeutsch«, erklärte ich. »Es bedeutet harter Speer.« Meine Augen glitten wie automatisch über seinen Körper, bevor ich sie davon abhalten konnte. Hatte es je einen passenderen Namen für jemanden gegeben? Das T-Shirt spannte über seinen Oberarmen und ich konnte die perfekt definierten Muskeln seiner Brust erkennen. Mein Blick wanderte tiefer …
Dann fiel mir auf, was ich da gerade gesagt hatte, und ich sah erschrocken in seine Augen.
Er grinste. »Harter Speer«, murmelte er und straffte seine Schultern, wodurch die Muskeln in seiner Brust noch besser zur Geltung kamen. »Ja, damit kann ich leben.«
»Ich dachte, du hast dich umbenannt«, erwiderte ich und hatte Mühe, nicht erneut auf seine Brust zu starren. Oder tiefer.
»Jaaaa.« Er verzog kurz den Mund. »Garret ist einfach cooler. Und ich kann ja trotzdem ein harter Speer sein.« Sein Grinsen wurde breiter und ich rümpfte die Nase. Sein dunkles Lachen löste ein seltsames Gefühl tief in meinem Inneren aus. »Also Annie«, fuhr er fort. »Was machst du hier auf dieser Convention, wenn du offenbar keinerlei Interesse an Serien, Filmen oder Schauspielern hast?«
»Woher willst du wissen, dass ich daran kein Interesse habe?«, fragte ich. »Ich liebe Serien. Ich brauchte nur eine Pause von all dem Starrummel, bevor ich gleich zu meiner Photo Op gehe.«
Er betrachtete mich eindringlich und der Blick in seinen Augen gefiel mir gar nicht. Er war zu … wissend.
»Gut«, sagte er schließlich. »Wer ist dein Lieblingsschauspieler?«
»Der Typ aus dieser Elfengeschichte.«
Er schnaubte belustigt und ich verschränkte die Arme vor meiner Brust. Was keine gute Idee war, da ich immer noch den Becher in der Hand hielt. Kaffee ergoss sich auf Garrets Hose und ich sprang auf die Füße.
»Scheiße!«, fluchte ich. »Das tut mir so leid. Ehrlich. Das wollte ich nicht. Es war keine Absicht.«
»Klar«, sagte er und zu meinem Erstaunen sah er nicht wütend aus, während er mit seiner Hand über den Fleck rieb. Glücklicherweise war der Becher fast leer gewesen und auf dem dunklen Stoff seiner Jeans fiel der Kaffee kaum auf.
»Gib’s zu. Du willst nur, dass ich meine Hose ausziehe.«
Ich verdrehte die Augen. »Dämlicher Anmachspruch«, erwiderte ich. »Und total vergeudet. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Freund.« Dennoch stellte ich mir vor, wie er seine Hose auszog. Ob seine Beine genauso muskulös waren? Wie wohl der Rest von ihm aussah …
Einer seiner Mundwinkel hob sich und seine Augen blitzten auf. Mein Herz setzte einen Schlag aus.
»Und wenn du jetzt sagst, dass du das ändern kannst …«, begann ich, doch er ließ mich nicht ausreden.
»Lass mich das ändern.«
Ich stöhnte genervt und sank zurück auf den Betonpfeiler. Er lachte erneut und ich strich mit den Händen über meine Arme, auf denen sich Gänsehaut ausgebreitet hatte.
»Also, Annie«, sagte er, seine Stimme tiefer als zuvor. »Was machst du morgen Abend?«
»Sicher nicht mit einem Typen ausgehen, dessen Nachnamen ich noch nicht mal kenne.«
»Wieso denkst du, dass ich mit dir ausgehen will?«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an, doch wusste keine Antwort. Sicher war mein Gesicht feuerrot.
»Heart«, sagte er.
»Was?«
»Das ist mein Nachname.«
Ich sah ihn ungläubig an. »Du heißt Garret Heart?«
Er nickte und beobachtete meine Reaktion ganz genau, was Unbehagen in mir auslöste. Der Name war gut gewählt, stellte ich fest. Sein wirklicher Name war Gerhard. Und er hatte Garret Heart daraus gemacht.
Plötzlich wurden meine Augen groß, als mir etwas auffiel.
Er war wie selbstverständlich hier aufgetaucht und hatte gesagt, dass er eine Pause brauchte. Außerdem nutzte er einen falschen Namen. Und er war davon ausgegangen, dass ich keine Schauspieler kannte.
»Bist du einer von den Elfentypen?«, fragte ich und er hob eine Augenbraue.
»Von den Elfentypen?«
Ich nickte. »Du weißt schon. Die schönen Männer, die immer Elfen spielen.«
»Du findest mich …«
»Beende den Satz nicht.«
Er grinste. »Nein«, sagte er dann. »Ich bin keiner dieser Elfentypen.«
»Ein Vampir? Werwolf? Zauberer?«
Er schüttelte seinen Kopf. »Ich bin ein Gott.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich kann nicht glauben, dass du das gesagt hast«, erwiderte ich.
Er nickte langsam. »Ein wunderschöner, mächtiger Gott. Mit einem harten Speer.«
Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Der Witz war einfach zu schlecht. Doch die Ernsthaftigkeit, mit der er ihn rüberbrachte, beeindruckte mich.
»Wenn du es so beschreibst klingt es, als wärst du ein Porno Darsteller«, entwich es mir. Er hob eine Augenbraue, bevor er leise lachte. Er senkte sein Gesicht und schüttelte kurz den Kopf.
»Also, Garret mit dem harten Speer, was machst du hier?«, fragte ich, bevor er zu genau über meine Worte nachdenken konnte.
»Arbeiten«, erwiderte er und sah mich wieder an. Seine Augen funkelten belustigt. »Und bevor du fragen kannst, ich arbeite nicht als Pornodarsteller.«
Ich nickte und setzte den Becher an meine Lippen. Doch natürlich war er leer. Ich seufzte leise und stellte ihn auf den Betonpfeiler neben mich. »Du arbeitest nicht zufällig im Café?«, fragte ich und er neigte interessiert seinen Kopf.
»Möglicherweise.« Er grinste breit und hob eine Hand. »Warte hier«, wies er mich an. »Ich bin sofort wieder da. Nicht weglaufen.«
»Glaub mir«, erwiderte ich. »Ich bin heute morgen um sechs aufgestanden, um Ewigkeiten in dieser Schlange vor dem Eingang zu stehen. Und ich hatte erst einen Kaffee. Wenn du mir also einen weiteren in Aussicht stellst, werde ich nirgendwo hingehen und sehnlichst auf deine Rückkehr warten.«
Er nickte und verschwand ohne ein weiteres Wort durch eine der Seitentüren.
Ich runzelte die Stirn. Was tat ich hier eigentlich? Flirtete ich tatsächlich mit diesem Typen? War das überhaupt Flirten? Nein, entschied ich. Wir unterhielten uns lediglich. Zwei ganz normale, erwachsene Menschen, die zufällig auf dem Hinterhof einer Convention saßen und über Speere und Kaffee sprachen.
Total normal.
Wenige Minuten später kam Garret zurück. Er trug einen schwarzen Kaffeebecher, den er mir auffordernd entgegenhielt. Es war keiner der üblichen Pappbecher, sondern sah wirklich schick aus und bestand aus Porzellan. Garrets Finger verdeckten einen Schriftzug und ich neigte meinen Kopf.
»Wo hast du den her?«, fragte ich und er hob seinen Zeigefinger, sodass ich die Aufschrift Olympos lesen konnte.
»Ein Freund von mir arbeitet bei einer der Fernsehserien«, erklärte er. »Und im Backstagebereich gibt es den besten Kaffee. Und als ich ihm gesagt habe, dass ich eine Frau beeindrucken will, hat er mir den Becher gegeben. Ich hab gehört, diese Serie ist der geilste Scheiß.«
Ich trank einen Schluck und schloss kurz meine Augen. »Dieser Kaffee ist der geilste Scheiß«, sagte ich und Garret lachte leise, bevor er sich erneut neben mich setzte.
Er hielt mir eine weiße Papiertüte entgegen und ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Nimm schon«, wies er mich an und zögerlich griff ich danach.
In der Tüte befand sich ein Schokomuffin. Ich zog ihn heraus und starrte fasziniert darauf. Dann sah ich zu Garret.
Er grinste schief und mein Herz machte einen Hüpfer. Vielleicht hatte er recht und er war wirklich ein Gott. Zumindest war dieses Grinsen wirklich göttlich.
»Für mich?«, fragte ich und er sah sich um.
»Siehst du hier sonst noch jemanden?«, erwiderte er. »Alle anderen halten sich daran, dass dieser Hinterhof für Besucher gesperrt ist.«
Ich nickte langsam, dann zupfte ich ein Stück Schokolade ab und steckte es in meinen Mund. Oh Gott, war das gut. Ich nahm einen weiteren Bissen und hätte fast gestöhnt. Mein Frühstück war viel zu lange her. Außerdem hatte es lediglich aus Toast mit Marmelade bestanden, weil ich nichts anderes in unserer Küche hatte finden können. Innerhalb weniger Minuten hatte ich den ganzen Muffin verdrückt. Als ich meine Finger an der Serviette aus der Tüte abwischte, sah ich Garret erschrocken an.
»Wolltest du auch was haben?«
»Ja«, sagte er mit einem ernsten Nicken. »Aber jetzt ist es wohl zu spät.«
Ich starrte ihn schweigend an. Er lachte und schüttelte seinen Kopf.
»Also, Annie«, sagte er. »Was machst du hier, wenn du keine Serien oder Filme schaust?«
»Meine Freundinnen stehen darauf.« Ich zuckte mit den Schultern und er nickte wissend.
»Was tut man nicht alles für Freundinnen«, erwiderte er und ich neigte meinen Kopf.
»Sprichst du aus Erfahrung?«
»Vielleicht.«
Er zwinkerte mir zu und ich starrte ihn an. Hatte er das gerade wirklich getan? Wie … kitschig.
»Da du auf dem Hinterhof sitzt und Kaffee trinkst«, fuhr er fort, »gehe ich davon aus, dass dich die Convention nicht wirklich überzeugen kann?«
»Richtig.«
»Ich könnte dir eine Backstage Führung anbieten.«
Ich schnaubte verächtlich. »Damit ich all die eingebildeten Stars kennenlernen kann? Nein, Danke.«
Er hob die Augenbrauen und ich verzog meinen Mund.
»Du kennst sie, richtig?« Ich legte eine Hand über meine Augen. »Natürlich kennst du sie. Du arbeitest hier und bekommst sogar Kaffee von einer der Serien.« Ich schob meinen Zeigefinger zur Seite, damit ich ihn durch meine Finger ansehen konnte. »Ich wollte deine Freunde nicht beleidigen. Tut mir leid. Natürlich sind nicht alle Stars eingebildet. Das war eine sehr dämliche Aussage von mir. Manchmal rede ich, bevor ich nachdenke. Und meine sozialen Fähigkeiten lassen zu wünschen übrig.«
Einen Moment sah er mich aus großen Augen an, dann lachte er laut.
Ich ließ meine Hand sinken und atmete tief aus.
»Also, Annie mit der mangelnden Sozialkompetenz. Wie könnte man dafür sorgen, dass dir diese Convention doch noch gefällt?«
Ich verzog nachdenklich meinen Mund. »Kaffee ist ein guter Anfang«, teilte ich ihm mit und hob den Becher, bevor ich einen weiteren Schluck nahm. »Und Schokolade auch.«
Er nickte anerkennend.
»Richtig genial wäre es allerdings gewesen, wenn du mir noch einen Eisbecher dazu mitgebracht hättest. Es ist viel zu heiß hier draußen.«
»Meine Verführungskünste sind etwas eingerostet«, erklärte er. »Normalerweise schmeißen sich die Frauen mir einfach so an den Hals. Und die Männer manchmal auch.«
»Sorry«, erwiderte ich. »Aber so einfach werfe ich mich niemandem an den Hals. Da musst du mir schon mindestens zwei Dutzend Muffins und einen riesigen Eisbecher mitbringen. Mit Erdbeeren.«
»Werde ich mir merken«, sagte er.
»Damit wollte ich nicht sagen, dass du mir einen Eisbecher kaufen sollst«, erklärte ich schnell.
»Aber hast du das nicht gerade genau so gesagt?«
Ach verdammt.
»Was machst du, wenn du nicht auf Conventions rumhängst, an denen du kein Interesse hast?«, fragte er.
»Ich studiere am College in Caldermore«, erwiderte ich knapp und hoffte, dass er dieses Thema fallen ließ. Natürlich hatte ich kein Glück.
»Was studierst du?«
»Dies und das.«
Er hob eine Augenbraue. »Dies und das?«
Ich nickte. Inzwischen war ich an diesen ungläubigen Blick gewöhnt, den mir alle Leute schenkten, wenn ich ihnen sagte, dass ich noch kein Hauptfach gewählt hatte. »Ich kann mich nicht entscheiden, was ich später machen will«, erklärte ich. »Und all meine Klassen sind so interessant, dass ich mich einfach nicht festlegen kann.«
»Aber muss man das nicht, um einen Abschluss zu machen?«
»Jap.« Das war ein Problem, das wusste ich. Aber ich hatte keine Lust, mit einem Fremden weiterhin über mein Entscheidungsproblem zu sprechen. Es reichte, dass ich ihm von meiner sozialen Inkompetenz berichtet hatte. »Und du? Was machst du so, wenn du nicht gerade auf Conventions rumhängst?«
»Erstens hänge ich nicht hier rum, ich arbeite. Und zweitens ist genau das Teil meines Jobs. Auf Conventions rumhängen.«
»Also reist du viel?«, fragte ich. Wenn ich mich recht erinnerte, fanden diese Conventions immer an anderen Orten statt. Außer er war hier beim Messegelände angestellt.
»Teilweise«, erklärte er. »Früher war ich ständig an anderen Orten. In letzter Zeit bin ich oft hier in der Nähe, da ich eine Festanstellung bekommen habe.« Er grinste, als hätte er gerade einen wahnsinnig guten Witz erzählt.
»Und die wäre?« Nicht, dass er doch zum Sicherheitspersonal gehörte und mich gleich ins Convention Center Gefängnis steckte. Ich war immer noch nicht sicher, ob es so etwas gab.
In diesem Moment klingelte sein Handy und er sah mich entschuldigend an. Nach einem Blick auf das Display hob er einen Finger in meine Richtung und drehte sich weg, bevor er das Handy an sein Ohr hielt.
»Ja? … Nein, das habe ich nicht … Klar. Ich bin in fünf Minuten da.« Er sah mich wieder an und stand langsam auf. »Ich muss los«, erklärte er. »Die Arbeit ruft.« Er zögerte und sah mich abwägend an. »Aber es wäre wirklich super, wenn du mir deine Nummer geben könntest, damit ich dich wegen eines zweiten Dates kontaktieren kann.«
»Zweites Date?«
Er nickte. »Ich werte dies hier als das Erste. Immerhin habe ich dir einen Muffin und Kaffee gebracht und dir diesen wunderschönen Becher dazu geschenkt. Also?«
Ich saß wie erstarrt dort, während ich überlegte, was ich tun sollte. Ich wollte keinen Freund. Ich wollte keine Dates. Ich hatte sowieso schon viel zu viel zu tun. Vielleicht sollte ich den Häkelkurs aufgeben.
Garret hob seine Augenbrauen und wippte auf seinen Fußballen auf und ab. Er hielt immer noch das Handy in einer Hand.
Mein Blick glitt über seine dunklen Haare und strahlenden Augen, die eine Mischung aus blau und grau waren und überhaupt nicht zu seinem dunklen Teint passten. Und genau deshalb perfekt passten. Er war ein Mysterium. Ich konnte seine Herkunft genauso wenig erraten, wie seinen Job hier.
Langsam streckte ich meine Hand in seine Richtung aus und er gab mir sein Handy. Bevor ich die letzte Ziffer eingab, zögerte ich. Es wäre ganz einfach, ihm eine falsche Nummer zu geben. Ich würde ihn nie wieder sehen.
»Du kannst auch einfach sagen, wenn du mir nicht deine Nummer geben willst«, sagte er. »Du brauchst keine falsche Nummer erfinden.«
Ich schenkte ihm einen bösen Blick. »Das würde ich nie tun«, erwiderte ich und tippte die korrekten Zahlen ein. »Und du solltest auch nochmal an deinen Sozialkompetenzen arbeiten, wenn du mir einfach sowas unterstellst«, fügte ich hinzu und reichte ihm sein Handy.
Er grinste, als er es entgegennahm. »Bis bald, Annie«, sagte er. Seine Stimme war plötzlich dunkler und Gänsehaut kroch über meine Arme. Er drehte sich um und ging hinüber zur Tür.
»Bis bald, Garret, der arrogante Gott«, murmelte ich und starrte ihm nach.
»Das hab ich gehört«, rief er, ohne sich umzudrehen. Dann war er verschwunden und aus irgendeinem Grund breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus. Ich setzte erneut den Kaffeebecher an meine Lippen und nahm einen langen Schluck. Als ich ihn wieder sinken ließ, fiel mein Blick auf den Schriftzug.
Olympos.
Ich drehte den Becher in meinen Fingern und erstarrte. Auf einmal wurde mir heiß und mein Herz schlug so schnell, dass ich Angst hatte, es würde im nächsten Augenblick aus meiner Brust springen.
Auf der anderen Seite befand sich das Bild eines Mannes. Seine Brust war nackt und ein goldener Kranz zierte sein dunkles Haar. Die blau-grauen Augen schienen selbst auf dem Bild zu funkeln.
Garret war einer der Schauspieler aus dieser Serie.
Und ich hatte ihm soeben meine Nummer gegeben.