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Leseprobe Machtlos

Machtlos (Teil 1 der Ebby Scarborough Reihe) – Leseprobe

Dreizehn Minuten.

So lange saß ich schon hier und wartete.

Dreizehn quälend lange Minuten, in denen ich über meine eigene Dummheit und Naivität nachdenken konnte.

Hatte ich wirklich geglaubt, in einem Onlineportal jemanden kennenzulernen? War ich wirklich so verrückt zu hoffen, Freundinnen zu finden?

Ich schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf, bevor ich nach meiner Handtasche griff und von meinem Hocker an der Bar heruntersprang. Das hier war eine dämliche Idee gewesen. Ich blickte zur Barkeeperin, um ihr mitzuteilen, dass ich zahlen wollte, doch sie hob ihre Hand und bedeutete mir, zu warten. Offensichtlich ließ das Universum mich dieser Peinlichkeit noch nicht entkommen.

Seufzend glitt ich zurück auf den Hocker und stützte meine Ellbogen auf die Theke. Ich ließ die Stirn in meine Hände gleiten und starrte auf das dunkle Holz. Am liebsten hätte ich meinen Kopf dagegen geschlagen, aber dann wüssten alle Anwesenden ebenfalls, wie dämlich ich war. Und ich behielt das lieber noch einige Zeit für mich.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie jemand durch die Tür hinter der Bar den Raum betrat und mit der Barkeeperin sprach. Sie lachte laut und ich verzog das Gesicht. Wieso hatten heute alle Spaß, nur ich nicht?

Es war Samstagabend und ich war erbärmlich.

Oh gut, schoss es mir durch den Kopf. Selbstmitleid hilft dir sicher weiter.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte eine männliche Stimme plötzlich direkt neben mir und ich unterdrückte ein weiteres Seufzen. Das Universum hasste mich heute Abend anscheinend wirklich. Erst wurde ich versetzt und jetzt sprach mich ein wildfremder Mann an, obwohl meine gesamte Körperhaltung signalisierte, dass ich mich in Ruhe in meinem Elend suhlen wollte.

»Kein Interesse«, murmelte ich, ohne den Kopf zu heben. Ich machte jedoch eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, um zu zeigen, dass ich meine Ruhe haben wollte – falls meine Worte das nicht klar genug rüberbrachten.

»Schlechter Abend?«, fragte der Typ und ich konnte ein Lächeln in seiner Stimme hören. Offenbar amüsierte meine Misere ihn.

»Schlechtes Jahr«, murmelte ich, bevor ich mich selbst davon abhalten konnte. Ich presste die Lippen aufeinander und senkte mein Gesicht noch tiefer. Wieso machte ich das Ganze noch schlimmer? Vielleicht hatte er mich nicht gehört …

Diese Hoffnung starb, als er leise lachte.

»Was kann ich für dich tun?«, wiederholte er und ich hob genervt den Kopf.

»Ich habe wirklich kein Interesse an …« Die Worte blieben mir im Halse stecken, als ich ihn sah. Nicht, weil er umwerfend aussah, was er tat – mit seinen funkelnd blauen Augen, goldblonden Haaren und vollen Lippen. Sondern weil auf seinem schwarzen T-Shirt, welches die Konturen seines muskulösen Oberkörpers perfekt umarmte, das Wort Underworld zu lesen war – der Name des Clubs, an dessen Bar ich gerade saß. Er war offensichtlich die Ablösung der soeben verschwundenen Barkeeperin. Und ich kam mir noch dämlicher vor. Seine Frage war so eindeutig, wenn ich jetzt darüber nachdachte. Er hatte lediglich meine Bestellung aufnehmen wollen.

»Ähm … also … ich …« 

War das wirklich meine Stimme, die halb erstickt und piepsig klang? Ich räusperte mich und die Augen des Barkeepers funkelten belustigt, während sein Blick über mein Gesicht und meine nackten Arme glitt. Seine Lippen öffneten sich und er fuhr mit seiner Zunge darüber. Ich atmete hörbar ein und ein Grinsen huschte über seine Züge, bevor er die Lippen aufeinanderpresste und mich erwartungsvoll ansah.

»Ich würde gerne zahlen«, erklärte ich und obwohl ich mich bemühte, meine Stimme fest und zuversichtlich klingen zu lassen, wirkten die Worte atemlos. Aber wenigstens nicht mehr piepsig. Es ging offensichtlich bergauf und ich wusste auch die kleinen Dinge zu schätzen.

»Sicher«, sagte er und nickte. Sein Blick glitt von meinen Augen hinab zu meinen Lippen und dann tiefer.

Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust, denn ich hatte auf einmal das Gefühl, meine Kleidung wäre nicht genug, um seine Blicke abzuhalten. Er schien tiefer zu schauen, vorbei an meinem Oberteil – und nicht in anzüglicher Weise. Sein Blick schien mitten in mein Inneres zu ragen. Dorthin, wo ich so lange niemanden hatte hinschauen lassen. Wo ich all die dunklen Gedanken und Erinnerungen aufbewahrte, die niemand sehen sollte.

Ich rutschte auf meinem Hocker hin und her und er schloss kurz die Augen, bevor er sich abwandte.

In dem Moment, in dem sein Blick mich verließ, atmete ich erleichtert aus und hatte das Gefühl, zehn Pfund leichter zu sein. Wie hatte er mit nur einem Blick solche Emotionen in mir ausgelöst?

Bevor ich eine Antwort auf diese Frage finden konnte, war er zurück und stellte ein Glas mit einer goldenen Flüssigkeit vor mir auf den Tresen.

»Ich hab nichts bestellt«, sagte ich. Ich klang nicht mehr atemlos, sondern abweisend. Wunderbarer Fortschritt.

»Auf mich«, erwiderte er und sah mich erwartungsvoll an.

»Nein Danke.«

Er lehnte sich zurück und kreuzte die Arme vor seiner Brust, während er mich interessiert musterte. Ich senkte den Blick und starrte auf das Glas.

Und auf einmal dachte ich mir, was soll’s? Wieso eigentlich nicht? Es war Samstagabend und ich saß alleine an der Bar. Ich war versetzt worden und dieser Typ machte mich gleichzeitig nervös und … keine Ahnung, wie ich das Gefühl beschreiben sollte. Auf jeden Fall hatte ich mir einen Drink verdient.

Ich ergriff das Glas und nickte dem Barkeeper zu, bevor ich das Getränk an meine Lippen setzte und es in einem Schluck austrank. Die Flüssigkeit brannte wie Benzin in meiner Kehle und Tränen schossen mir in die Augen. Ich hustete laut.

Er hob eine seiner perfekten Augenbrauen und sah mich belustigt an. Dann neigte er den Kopf zur Seite und runzelte kaum merklich die Stirn, als stellte ich ein Rätsel dar, welches er nicht lösen konnte. Eine Sekunde später klärte sich sein Blick und seine Augen blitzten auf. »Noch einen?«, fragte er und bevor ich mich bewusst entschieden hatte, nickte ich. Er grinste und ergriff eine Flasche. Dann füllte er mein Glas erneut mit derselben, goldenen Flüssigkeit und sah mich erwartungsvoll an.

Da ich keine Ahnung von Alkohol hatte und das Etikett nicht lesen konnte, wusste ich nicht, was er mir einschenkte, doch es machte nichts. Die Flüssigkeit des ersten Glases brannte wundervoll in meinem Magen und ich war im Begriff, den Inhalt des zweiten direkt hinterher zu schütten.

»Langsam«, warnte er und lehnte sich näher. Er kniff kurz die Augen zusammen, bevor er eine Hand auf meine legte, um mich zu stoppen.

Bei seiner Berührung breitete sich ein wundervolles Kribbeln von meinen Fingern, über meinen Arm und in den Rest meines Körpers aus. Meine Lippen öffneten sich mit einem sanften Zischen, während ich ihn fasziniert anstarrte. Und für einen kurzen Moment schien das Universum stillzustehen.

Er zog seine Finger ein paar Zentimeter zurück, ließ seine Hand jedoch über meiner schweben. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nichts tun, außer ihn schweigend anzustarren. Denn irgendetwas war gerade passiert. Irgendetwas … aber ich wusste nicht, was es war.

Seine Stirn war gerunzelt und seine Augen verengt. Die dunklen Pupillen hatten fast das gesamte Blau seiner Iris überschattet. Mein Blick fiel zu seinem Hals und ich sah den hämmernden Puls unter seiner sonnengebräunten Haut. Bevor meine Augen noch tiefer wandern konnten, schloss ich sie. Als ich sie wieder öffnete, kostete es mich alle Mühe, wieder in sein Gesicht zu schauen.

Er sah mich immer noch mit einer Mischung aus Faszination und Unverständnis an, die ich nicht deuten konnte und gleichzeitig so gut verstand. Er hatte es also auch gespürt …

»Wie ist dein Name?«, fragte er und seine Stimme klang rau und sinnlich. 

Gänsehaut kroch über meine Arme. »Ebby.« Wieso flüsterte ich?

Er nickte stumm und wandte seinen Blick meiner Hand zu. Dann, ganz langsam, senkte er seine Finger ein weiteres Mal, bis sie meine berührten. Erneut breitete sich ein warmes Kribbeln durch meine Adern aus. Er runzelte die Stirn und neigte seinen Kopf zur Seite. »Seltsam«, murmelte er kaum hörbar, bevor er seine Hand zurückzog. Er schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf, als wollte er seine Gedanken klären. Ich hatte das starke Bedürfnis, die Geste zu imitieren, aber konnte mich glücklicherweise im letzten Moment davon abhalten.

Als er seine Lider wieder hob, waren seine Pupillen auf normale Größe geschrumpft und seine Augen funkelten erneut strahlend blau.

»Ebby«, sagte er und lächelte. »Schön, deine Bekanntschaft zu machen. Du solltest langsamer trinken.« Er zwinkerte mir zu, bevor er sich umdrehte und zum anderen Ende der Theke ging, wo er damit begann, Gläser zu spülen.

Mein Mund öffnete sich und ich starrte ihm fassungslos hinterher. Ich musste langsamer trinken? Was fiel ihm eigentlich ein? Ich konnte so schnell und so viel trinken wie ich wollte.

Um ihm genau das zu beweisen, leerte ich das zweite Glas in einem Zug und knallte es auf die Theke. Ich hustete lautstark, als die brennende Flüssigkeit meine Kehle hinab rann.

Ich sah, wie seine Schultern in einem stummen Lachen bebten, doch er drehte sich nicht zu mir um.

Frechheit, dachte ich, riss meine Handtasche von der Bar und sprang von meinem Hocker.

Schwindel breitete sich in meinem Kopf aus und ich legte eine Hand an die Theke, um mich aufrecht zu halten. Vielleicht hätte ich doch langsamer trinken sollen. Und wieso zur Hölle hatte ich mir eingebildet, das Universum hätte auf unsere Berührung reagiert?

Weil du erbärmlich bist. Ach richtig, deshalb.